Wesentliche Unterschiede bei Wahl, Befugnissen und Schutz: Deutschlands verbindliche Mitbestimmung im Vergleich zum beratenden CSE in Frankreich

Der Betriebsrat in Deutschland und das Comité Social et Économique (CSE) verkörpern in ihren jeweiligen Rechtsordnungen das zentrale Instrument der betrieblichen Interessenvertretung. In beiden Ländern steht Beschäftigten das Recht zu, ein Gremium zu bilden, das an Entscheidungen im Betrieb mitwirkt – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Der folgende Überblick zeigt, worin sich beide Modelle ähneln und wo sie abweichen, insbesondere mit Blick auf Wahlverfahren, Mitbestimmungsrechte und den rechtlichen Schutz der Mitglieder.
In Deutschland wie in Frankreich richtet sich die Zahl der Arbeitnehmervertreter nach der Unternehmensgröße und die Amtszeit beträgt in der Regel vier Jahre.
Deutschlands freiwilliger Ansatz
Die Wahl eines Betriebsrats folgt in Deutschland einem genau geregelten Verfahren – von der Einladung zur Wahl bis zur Auszählung der Stimmen. Zentrale Aspekte und detaillierte Informationen zur Betriebsratswahl finden Sie in unserer Reihe zu den anstehenden Betriebsratswahlen 2026.
Ein Betriebsrat kann bereits ab fünf wahlberechtigten Arbeitnehmern gebildet werden, ist aber nicht verpflichtend. Selbst in großen Betrieben liegt die Entscheidung über seine Errichtung allein bei der Belegschaft. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) existiert derzeit lediglich in rund sieben Prozent der deutschen Unternehmen ein Betriebsrat. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) regelt die Wahlberechtigung klar: Beschäftigte ab 16 Jahren dürfen wählen, wählbar sind Arbeitnehmer ab 18 Jahren mit mindestens sechs Monaten Betriebszugehörigkeit.
Pflicht zur Einrichtung in Frankreich
In Frankreich ist die Bildung eines CSE hingegen verpflichtend, sobald ein Unternehmen zwölf Monate in Folge mindestens elf Beschäftigte hat. Auch hier sieht das Gesetz ein strukturiertes Verfahren vor – beginnend mit der Information der Belegschaft, über mögliche Verhandlungen mit Gewerkschaften, bis hin zur Aufstellung eines Wahlprotokolls, das Sitzverteilung, Wahlmodus und Kandidaturen regelt.
Im ersten Wahlgang dürfen ausschließlich von Gewerkschaften nominierte Kandidaten antreten. Unabhängige Bewerbungen sind erst im zweiten Wahlgang zulässig. Nach dem französischen Arbeitsgesetzbuch (Code du travail) dürfen Beschäftigte ab 16 Jahren mit mindestens drei Monaten Betriebszugehörigkeit wählen, ab 18 Jahren können sie kandidieren, sofern sie nicht zum Arbeitgeber gezählt werden.
Anders als der deutsche Betriebsrat, der ein unabhängiges, von Arbeitnehmern gewähltes Gremium ist, umfasst das französische CSE neben den Arbeitnehmervertretern auch einen Vertreter des Arbeitgebers als Vorsitzenden des CSE.
Der Umfang der Rechte unterscheidet sich in beiden Systemen grundlegend.
Zwingende Mitbestimmung in Deutschland
Der deutsche Betriebsrat hat weitreichende, zwingende Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten. Dazu zählen unter anderem Fragen der Arbeitszeit (Beginn, Ende, Pausen, Überstunden), der Zeiterfassung, Urlaubsplanung, Entlohnungsgrundsätze sowie allgemeine betriebliche Verhaltensregeln.
Bei personellen Einzelmaßnahmen wie Einstellungen, Eingruppierungen oder Versetzungen muss der Arbeitgeber in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten die Zustimmung des Betriebsrats einholen. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, kann der Arbeitgeber die Ersetzung durch das Arbeitsgericht beantragen. Kündigungen bedürfen keiner Zustimmung, allerdings ist der Betriebsrat anzuhören.
Frankreich: Konsultation statt Mitbestimmung
In Frankreich sind Vetorechte des CSE die Ausnahme und gesetzlich eng begrenzt – etwa bei der Einführung individueller Arbeitszeitmodelle. Das französische System ist stärker auf Information und Beratung ausgerichtet. Das französische Modell gewährt nur wenige der Initiativrechte, die für deutsche Betriebsräte typisch sind. Ab einer Belegschaft von 50 Personen erweitert sich der Aufgabenbereich deutlich: Das CSE erhält eigene Haushaltsmittel und ist umfassend in wirtschaftliche und soziale Entscheidungen einzubeziehen. Es überwacht Arbeitsbedingungen, Gesundheitsschutz und vertritt Arbeitnehmerinteressen in individuellen wie kollektiven Angelegenheiten. Zwar hat das CSE das Recht, regelmäßig oder anlassbezogen zu Themen wie Umstrukturierungen, Arbeitszeitregelungen oder Personalabbau konsultiert zu werden, doch bleiben seine Stellungnahmen in der Regel nicht bindend – der Arbeitgeber kann also trotz ablehnender Meinung Maßnahmen umsetzen.
In Deutschland sind einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers, die die zwingenden Beteiligungsrechte des Betriebsrats missachten – etwa Änderungen der Arbeitszeitgestaltung –, grundsätzlich unwirksam und für die Arbeitnehmer nicht verbindlich. Der Betriebsrat kann einstweiligen Rechtsschutz vor den Arbeitsgerichten suchen und bei schwerwiegenden Verstößen können Bußgelder verhängt werden. Die vorsätzliche Behinderung oder Benachteiligung des Betriebsrats stellt eine Straftat dar.
Auch in Frankreich hat ein Verstoß gewichtige Konsequenzen: Die sogenannte „délit d’entrave“ (Behinderung der Arbeitnehmervertretung) ist eine strafbare Handlung. Das CSE kann gerichtliche Schritte einleiten, Projekte stoppen oder deren Rückabwicklung verlangen und Schadensersatz geltend machen.
Mitglieder von Betriebsrat und CSE genießen einen weitreichenden Sonderkündigungsschutz.
In Deutschland ist die ordentliche Kündigung – außer in sehr eng begrenzten Fällen, etwa bei Betriebsschließung – faktisch ausgeschlossen. Eine außerordentliche Kündigung ist nur mit Zustimmung des Betriebsrats oder hilfsweise mit Genehmigung des Arbeitsgerichts zulässig. Dieser Schutz gilt ein Jahr über das Ende der Amtszeit hinaus und erstreckt sich unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Ersatzmitglieder und Wahlinitiatoren.
In Frankreich bedürfen Kündigungen von CSE-Mitgliedern (ebenso wie einvernehmliche Beendigungsvereinbarungen und bestimmte Fälle von Betriebsübergang) der vorherigen Zustimmung der Arbeitsinspektion. Der Schutz wirkt über die Amtszeit hinaus und sichert die Unabhängigkeit und den Schutz der Vertreter vor Repressalien.
Nach deutschem Recht trägt der Arbeitgeber sämtliche Kosten der Betriebsratsarbeit – von Büromaterial und Schulungen über Reisekosten bis hin zur Freistellung für Betriebsratstätigkeiten. Auch die Durchführung der Wahl zählt dazu.
In Frankreich gelten weitgehend vergleichbare Regelungen. Der Arbeitgeber hat dem CSE geeignete Räumlichkeiten und Ausstattung bereitzustellen und leistet – bei Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten – finanzielle Beiträge zum Betriebshaushalt. Ebenso trägt er die Wahlkosten und zahlt die für CSE-Aufgaben aufgewendete Arbeitszeit.
Beide Systeme verfolgen dasselbe Ziel: Beschäftigten eine starke Stimme im Betrieb zu geben. Der Weg dorthin unterscheidet sich jedoch deutlich. Während das deutsche Modell auf verbindliche Mitbestimmungsrechte setzt, beruht das französische Modell vor allem auf einem beratenden Einfluss, dessen Bedeutung mit zunehmender Unternehmensgröße wächst.
Für Unternehmen, die in beiden Ländern tätig sind, gilt daher: Es genügt nicht, eines der Systeme einfach auf das andere zu übertragen. Stattdessen müssen interne Arbeitsabläufe, Zeitpläne und Berichtsstrukturen sorgfältig auf die jeweiligen gesetzlichen Vorgaben und die praktische Arbeitsweise des nationalen Gremiums abgestimmt werden.