Im Rahmen von Restrukturierungen mit umfassenden Personalabbaumaßnahmen ist die ordnungsgemäße Durchführung des Massenentlassungsverfahrens unumgänglich. Doch was passiert, wenn die Massenentlassungsanzeige fehlerhaft ist oder ganz unterbleibt? Der EuGH hat vor kurzem auf Vorlage des BAG in zwei Entscheidungen (C-134/24 und C-402/24) klargestellt: Eine unterbliebene Massenentlassungsanzeige kann für bereits erklärte Kündigungen nicht nachgeholt werden. Ferner reicht das Einreichen einer fehlerhaften oder unvollständigen Massenentlassungsanzeige auch dann nicht aus, wenn die Behörde die Anzeige nicht beanstandet oder auf anderem Wege an die fehlenden Informationen gelangt.

Ausgangssituation:
Die unionsrechtliche Massenentlassungsrichtlinie (Richtlinie 98/59/EG) und die darauf beruhende nationale Gesetzgebung verpflichten Arbeitgeber, geplante Massenentlassungen vorab bei der zuständigen Agentur für Arbeit anzuzeigen. Erreichen Entlassungen innerhalb von 30 Kalendertagen die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG, ist demnach vor den Entlassungen das Massenentlassungsverfahren einzuhalten. Dazu gehören das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG, die Zuleitung einer Abschrift der Unterrichtung des Betriebsrats an die Agentur für Arbeit, § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG, und schließlich die ordnungsgemäße Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit, § 17 Abs. 1, 3 KSchG. An die Anzeige schließt zudem eine in der Regel 30-tägige-Sperrfrist an, nach deren Ablauf die Kündigungen erst wirksam werden können, § 18 Abs. 1 KSchG. Zweck der Frist ist es, dass die Agentur für Arbeit die notwendigen Vorkehrungen zur Vermittlung treffen kann.
Keine gesetzlichen Vorgaben gibt es dazu, was im Falle eines unterlassenen oder fehlerhaften Massenentlassungsverfahrens passiert. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG sollten jedoch sowohl die Nichteinhaltung des Konsultationsverfahrens als auch eine fehlende, nicht rechtzeitige oder fehlerhafte Anzeige grundsätzlich zur Unwirksamkeit der Kündigungen nach § 134 BGB führen.
In jüngerer Zeit setzte jedoch ein Umdenken ein. Der 6. Senat des BAG stellte die Überlegung an, für fehlende, fehlerhafte oder unvollständige Massenentlassungsanzeigen die Nichtigkeitsfolge für Kündigungen abzuschaffen. Auslöser war ein EuGH‑Urteil aus dem Jahr 2023, das einen Individualschutz jedenfalls in Bezug auf die Zuleitungspflicht der Abschrift der Unterrichtung des Betriebsrats verneinte. Dies wurde als Argument dafür gesehen, dass auch die Verletzung anderer Vorschriften zu milderen Konsequenzen als der Unwirksamkeit der Kündigungen führen könnten. Um Auslegungsdivergenzen zwischen den Senaten des BAG zu vermeiden, stellte der 6. Senat eine innergerichtliche Anfrage beim 2. Senat. Dieser wollte wiederum zwischen unterbliebenen und fehlerhaften Massenentlassungsanzeigen differenzieren. Er stellte daraufhin eigene Überlegungen an, die Unwirksamkeit bei fehlender Anzeige durch ein Modell abzulösen, wonach die Kündigung zunächst wirkungslos, aber mit Nachholung einer Anzeige und Ablauf der Entlassungssperre von da an wirksam würde, ohne dass eine neue Kündigung ausgesprochen werden müsste. Schließlich legten sowohl der 2. als auch der 6. Senat dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung der Massenentlassungsrichtlinie vor.
Die Entscheidungen des EuGH vom 30. Oktober 2025:
Der EuGH erteilte den angedachten Modellen jedoch eine Absage.
1. Rechtssache C-134/24 – „Tomann“: Zur gänzlich unterbliebenen Massenentlassungsanzeige
2. Rechtssache C-402/24 – „Sewel“: Zur fehlerhaften oder unvollständigen Massenentlassungsanzeige
Welche konkreten Sanktionen die Mitgliedsstaaten bei Verstößen gegen das Anzeigeverfahren – als Alternative zu der Unwirksamkeit der Kündigung nach § 134 BGB – vorsehen dürfen, um die unionsrechtlich gebotene ausreichende abschreckende Wirkung zu erzielen, bleibt jedoch offen.
Zwar wird deutlich, dass die Richtlinie die Nichtigkeit der Kündigungen nicht zwingend vorschreibt. Ebenso klar ist jedoch, dass eine bloße „Fristhemmung“ oder das Zuwarten bis zur Nachholung einer unterbliebenen Massenentlassungsanzeige ohne die Notwendigkeit einer Neu‑Kündigung den Effektivitätsanforderungen nicht genügt.
Folgen für die Praxis: Bis eine Präzisierung erfolgt, gilt in der Praxis daher der Vorrang der Rechtssicherheit. Weiterhin ist eine sehr sorgfältige Durchführung des Massenentlassungsverfahrens geboten, da mit einer Unwirksamkeit von Kündigungen im Rahmen der Massenentlassung regelmäßig bereits aufgrund der Vielzahl der Kündigungen erhebliche Kosten verbunden sind.