Änderung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte


Das Europäische Parlament hat es sich angesichts der immer weiterwachsenden Bedeutung der ­europäischen Arbeitnehmervertretung zur Aufgabe gemacht, die Rechte der Europäischen ­Betriebsräte (EBR) zu stärken. Am 02.03.2023 hat das EU-Parlament daher mit der Mehrheit der Abgeordneten einen legislativen Initiativbericht angenommen, der eine Anpassung der bisher geltenden EU-Richtlinie 2009/38/EG bis zum 31.01.2024 bekräftigt.

Der Europäische Betriebsrat hat bislang in der Praxis ein eher stiefmütterliches Dasein geführt. Dem soll durch die geplanten Änderungen nun ein Riegel vorgeschoben und der Europäische Betriebsrat bei grenzüberschreitend tätigen, europäischen Unternehmen weiterhin ­gestärkt und so mehr in den Fokus gerückt werden. Mit diesem ­Beitrag möchten wir die Rolle des Europäischen ­Betriebsrats ­sowie dessen Bedeutung nach den geplanten Änderungen näher beleuchten.

Rolle des Europäischen Betriebsrats

In Deutschland stützt sich der Europäische Betriebsrat auf die Richtlinie (RL) 2009/38/EG und auf das Europäische-Betriebsräte-Gesetz (EBRG). Er kann in gemeinschaftsweit tätigen Unternehmen beziehungsweise Unternehmensgruppen gebildet werden, und zwar bei solchen, die mindestens 1.000 Mitarbeiter in den Mitgliedstaaten und davon jeweils mindestens 150 Mitarbeiter in mindestens zwei Mitgliedstaaten beschäftigen. Bei Unternehmensgruppen ist zudem erforderlich, dass der jeweiligen Gruppe mindestens zwei Unternehmen mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten angehören.

Durch den Europäischen Betriebsrat ist eine einheitliche Interessenwahrnehmung aller Beschäftigten in gemeinschaftsweit tätigen Unternehmen sichergestellt worden. Hierfür erhielt der Europäische Betriebsrat als Instrument Mitwirkungsrechte an die Hand. „Echte“ Mitbestimmungsrechte stehen ihm hingegen, anders als den deutschen ­Betriebsratsgremien nach dem Betriebsverfassungsgesetz, nicht zu.

Unter dem Begriff Mitwirkungsrechte sind Anhörungs- und Unterrichtungsrechte zu verstehen. Der Europäische Betriebsrat soll über die grenzüberschreitenden Entwicklungen im Bilde bleiben und sich mit dem Unternehmen hierzu beraten können. Verhindern oder maßgeblich ­beeinflussen kann der Europäische Betriebsrat eine unternehmerische Entscheidung hingegen nicht.

Im Unterschied zu solchen Mitwirkungsrechten führen echte Mitbestimmungsrechte dazu, dass beabsichtigte Maßnahmen eines Unternehmens durch die Betriebsratsgremien entscheidend mitgestaltet werden können.

Der Europäische Betriebsrat hat die Aufgabe, in der Funktion eines Bindeglieds zwischen den Unternehmen als ­Arbeitgeber und den jeweiligen national zuständigen ­Gremien zu agieren. Er hat die Informationen an die nationalen Arbeitnehmervertretungen weiterzugeben.

Der Mangel an echten Mitbestimmungsrechten auf unions­rechtlicher Ebene führt dazu, dass die Anhörungs- und ­Unterrichtungsrechte des Europäischen Betriebsrats bis dato regelmäßig nur in der Theorie bestehen. Eine Ahndung wegen fehlerhafter oder unterlassener Anhörungen fand bisher zumeist nicht statt, da hierfür lediglich eine Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 15.000 Euro (vgl. § 45 Abs. 2 EBRG) vorgesehen ist. Dies trifft europäisch aufgestellte Unternehmen oder Unternehmensgruppen – wegen der im unteren Bereich ­angesiedelten Höhe der Geldbuße – aber regelmäßig nur selten.

Stärkung der Mitwirkungsrechte

Das Fehlen der Durchsetzungsmöglichkeiten der Rechte des Europäischen Betriebsrats führt in der Konsequenz dazu, dass das Ziel und die eigentliche Aufgabe des ­Europäischen Betriebsrats als Kommunikator zwischen den ­Unternehmen und den jeweiligen Arbeitnehmer­vertretungen verlorengeht. Dem soll die neue EBR-Richtlinie entgegenwirken. Geschehen soll dies unter anderem durch einen kürzeren Anhörungs- und Unterrichtungszyklus. Derzeit besteht eine allgemeine Anhörungs- und Unterrichtungspflicht nur jährlich oder bei außergewöhnlichen Umständen und Entscheidungen. Dieser Zeitraum soll nun auf ein halbes Jahr verkürzt werden.

Nach wie vor wird es – nach derzeitigem Stand – aber ­keine echten Mitbestimmungsrechte wie auf nationaler Ebene ­geben. Das Europäische Parlament hat jedoch erkannt, dass es an effektiven Instrumenten zur Durchsetzung der ­Anhörungs- und Unterrichtungsrechte fehlt. Das soll sich in Zukunft ändern und der Europäische Betriebsrat endlich seiner ursprünglich vorgesehenen Rolle gerecht werden.

Die relevantesten geplanten Änderungen möchten wir im Folgenden darstellen:

Zugang zur Gerichtsbarkeit: Unterlassungsklage und einstweiliger Rechtsschutz?

Beabsichtigt ist, den Weg für Europäische Betriebsräte zur Gerichtsbarkeit zu ebnen. Von der EU-Kommission wird gefordert, ein vereinfachtes Verwaltungs- und Gerichts­verfahren für einen wirksamen Zugang der Europäischen Betriebsräte zur Justiz sicherzustellen.

Es ist davon auszugehen, dass durch den Zugang zur ­Justiz künftig Unterlassungsansprüche der Europäischen ­Betriebsräte bei (groben) Verstößen gegen Anhörungs- und Unterrichtungsrechte gewährleistet werden. Auch einstweilige Anordnungen zur effektiven Sicherung des rechtlichen Gehörs sind nicht ausgeschlossen. Um eine Anrufung der Gerichte durch den Europäischen Betriebsrat zu vermeiden, wird für Unternehmen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die Beteiligung des Europäischen Betriebsrats unumgänglich sein. Das führt dazu, dass die nationalen Arbeitnehmervertretungen schon zu einem entsprechend früheren Zeitpunkt von ­geplanten Änderungen oder Maßnahmen Kenntnis erlangen ­werden. Schließlich hat der Europäische Betriebsrat diese Gremien hierüber zu informieren.

Sicherstellung der ordnungsgemäßen Mitwirkung

Der Europäische Betriebsrat soll nach derzeitigem ­Planungsstand die Möglichkeit erhalten, eine ordnungsgemäß ermittelte Einschätzung vor der finalen Entscheidung der Unternehmen abgeben zu können. Ferner soll der Europäische Betriebsrat künftig eine „begründete Antwort auf seine Stellungnahme“ erhalten. Das ist neu und geht mit einem deutlich erhöhten Verwaltungs­aufwand für die Unternehmen einher. Die Frage nach konkreten Anforderungen an das Begründungsschreiben ist bisher unbeantwortet geblieben, so dass abzuwarten bleibt, welcher tatsächliche Mehraufwand auf die Unternehmen zukommt.

Stärkere Sanktionierung von Verstößen gegen Mitwirkungsrechte des Europäischen Betriebsrats

Zudem sollen „wirksame, abschreckende und verhältnismäßige“ Sanktionen bei Verstößen gegen die Mitwirkungsrechte des Europäischen Betriebsrats eingeführt werden. Abzuwarten bleibt hingegen, wie die Kommission diese abstrakt gehaltene Empfehlung des Parlaments umsetzen wird. Konkrete Empfehlungen sind diesbezüglich bislang nicht vorgelegt worden.

Einschränkung der Verwendung von sogenannten Vertraulichkeitsklauseln

Häufig stützen sich Unternehmen auf die Vertraulichkeit von Informationen und umgehen so die Mitwirkungsrechte des Europäischen Betriebsrats. Der Begriff der „vertraulichen Informationen“ soll daher konkret ­definiert und eindeutig festgelegt werden. Dadurch soll sichtbar werden, in welchen Fällen es gerechtfertigt ist, den Zugang zu Informationen aufgrund der Vertraulichkeit zu beschränken.

Fazit und Tipps für die zukünftige Praxis

Es wird abzuwarten sein, inwieweit die vorgeschlagenen ­Änderungen gesetzlich umgesetzt werden. Sicher ist: Der Europäische Betriebsrat soll bei grenzüberschreitenden Sachverhalten stärker in den Fokus rücken, indem ihm effektive Werkzeuge, wie beispielsweise Zugang zur ­Gerichtsbarkeit oder stärkere Sanktionsmöglichkeiten, zur Durchsetzbarkeit seiner Rechte an die Hand gegeben werden.

Nach derzeitigem Stand wird es aber auch in Zukunft ­keine „harte“, also keine echte Mitbestimmung wie auf ­nationaler Ebene geben. Seine Position als Kommunikator zwischen den Unternehmen und den nationalen Gremien soll weiter hervorgehoben werden. Abseits einer stärkeren Beteiligung im Rahmen der Mitwirkungsrechte bleiben dem Europäischen Betriebsrat aber eigene Gestaltungsmöglichkeiten nach aktuellem Stand weiterhin verwehrt.

Die Änderungen haben zur Folge, dass die nationalen Gremien nun zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von grenzüberschreitenden Maßnahmen erlangen. Dies sollte als Chance gesehen werden: Kernstück für eine gute ­Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ist nach wie vor die Kommunikation sowie ein frühes Einbinden bei grenzüberschreitenden Themen.

Die geplante Stärkung der Beteiligungsrechte des ­Europäischen Betriebsrats zeigt, dass die Bedeutung einer unionsweiten Arbeitnehmerinteressenvertretung in den kommenden Jahren voraussichtlich an Bedeutung ­gewinnen wird. Die betroffenen Unternehmen und ­Unternehmensgruppen sind gut beraten, sich bereits jetzt mit dem Thema auseinanderzusetzen, um schnell und effizient in den Genuss der Vorteile eines Europäischen Betriebsrats zu kommen.

Erstveröffentlichung im Deutscher Anwaltsspiegel